Hoheslied 2,16; 6,3; 7,11; 8,14
Heutige Bibellese:
Hoheslied 5,2-8,14 / Jakobus 3,13-4,12 / Psalm 144,1-15 / Sprüche 17,28
Diese wenigen Verse zeigen bei sorgfältiger Betrachtung sehr eindrücklich, was für eine Entwicklung sich in Sulamith, der Braut, vollzog – eine Entwicklung, die auch in jedem Glaubenden in Bezug auf den Herrn Jesus stattfinden sollte.
In 2,16 sagt sie: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein“. Sie denkt also zuerst an sich und den Nutzen, den sie aus der Beziehung zu ihm gewinnt. In 6,3 ist die Reihenfolge umgekehrt. Dort steht der Gedanke, dass sie IHM gehört, an erster Stelle und ihr Nutzen hat nur noch untergeordnete Priorität. In 7,11 ist es ähnlich: „Ich gehöre meinem Geliebten, und nach mir ist sein Verlangen.“ Wieder steht die Freude, dem Geliebten zu gehören, an erster Stelle. Doch im Gegensatz zu 6,3 erhebt sie jetzt keine „Besitzansprüche“ mehr an ihn und erwähnt nicht mehr, dass er ihr gehört. Der Wunsch nach „Besitz“ und „Nutzen“ ist dem Verlangen nach ihm selbst, nach seiner Person gewichen. Den Abschluss dieser Entwicklung bildet 8,14, wo sie ihren Geliebten wegschickt. Das ist kein Zeichen von Desinteresse, sondern ein Zeichen dafür, dass sie seiner leiblichen Gegenwart nicht länger bedarf. Sie ist sich seiner Liebe sicher, selbst wenn er nicht sichtbar anwesend ist.
Wenn ein Mensch zum Glauben an Jesus Christus findet und durch ihn Vergebung der Sünden und ewiges Leben bekommt, dann stehen diese (und andere) Geschenke der Gnade Gottes zuerst im Vordergrund. Er freut sich darüber, dass Jesus Christus ihm gehört und er in ihm so reich beschenkt ist (vgl. 2,16). Wer würde sich über so große Geschenke nicht riesig freuen und zunächst an nichts anderes denken? Doch mit zunehmender Reife sollte einem bewusst werden, dass das Entscheidende nicht die „Geschenke“ sind, nicht unser „Nutzen“, den wir von und durch Jesus haben, sondern die Zugehörigkeit zu IHM (woraus die „Geschenke“ resultieren; vgl. 6,3). Mit zunehmendem Wachstum im Glauben verlieren die Gnadengaben Gottes nicht ihren Wert, doch der Blick und das Verlangen richten sich immer stärker auf Jesus Christus selbst, den Geber dieser Gaben (vgl. 7,11). Der Höhepunkt wird schließlich erreicht, wenn man die sichtbaren Beweise der Gegenwart Gottes und seines Segens nicht mehr benötigt, wenn der Glaube von den Gefühlen unabhängig geworden ist. Der Glaube muss die Lokomotive sein, die die Gefühle mitzieht. Wenn die Gefühle den Glauben ziehen sollen, kommt der Zug schnell zum Stillstand.
[...] denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen [...] (2.Kor 5,7)