Klagelieder

Sept 27

Heutige Bibellese:

Klagelieder 1,1-2,22 / Apostelgeschichte 24,1-27 / Psalm 71,1-24 / Sprüche 24,11-12


Das Buch der Klagelieder ist ein poetisches Buch. Es ist sehr strukturiert und weist stilistische Besonderheiten auf.

1.) Das Buch der Klagelieder umfasst fünf Trauergesänge, die den fünf Kapiteln entsprechen. Ein Trauergesang war ein Beerdigungslied. Jeremia benutzt diese Form, um den tragischen „Tod“ Jerusalems und dessen Folgen für die Menschen zu beschreiben und um die Gefühle der Traurigkeit und des Verlustes auszudrücken, den die Überlebenden empfanden. Die Klagestruktur wird durch zwei stilistische Merkmale untermauert: Drei der Lieder beginnen mit dem Wort `ekâh („Wehe“; 1,1; 2,1; 4,1), das die Bedeutung eines starken Klagerufes hat. Außerdem wird in Kap. 1-4 das qînâh-Metrum häufig angewendet, bei dem die zweite Vershälfte einen Schlag kürzer ist als die erste. Das 3+2 „hinkende Versmaß“ erzeugt ein Gefühl von Leere und Unvollständigkeit und bewirkt dadurch eine emotionale Verstärkung der Traurigkeit.

2.) Die Kapitel 1-4 folgen einer akrostischen Anordnung, d.h. die Anfangsbuchstaben des jeweils ersten Wortes der 22 Verse bilden das Alphabet. In Kapitel 3, das Zentrum des ganzen Buches, das 66 Verse umfasst, beginnen jeweils drei aufeinanderfolgende Verse mit dem gleichen Buchstaben. Auffallend ist, dass in Kap. 2-4 die Reihenfolge des 16. und 17. Buchstabens vertauscht ist, während nur Kap. 1 der normalen Reihenfolge folgt. Diese Beobachtung stellte lange Zeit ein Rätsel dar. Inzwischen wurden bei archäologische Ausgrabungen mehrere hebräische Alphabet-Tafeln (von Kindern, die Schreiben lernten, in Ton geritzt) entdeckt. Einige folgen der heute üblichen Reihenfolge, während bei anderen die Reihenfolge des 16. und 17. Buchstabens vertauscht ist. Offensichtlich waren damals zwei Formen des Alphabets gebräuchlich – und auch Jeremia benutzt beide. Doch warum benutzt Jeremia überhaupt eine akrostische Anordnung? Einerseits erleichterte dies das Auswendiglernen. Doch darüber hinaus zeigt dies die Vollständigkeit des Leidens, das infolge der Sünde über Stadt und Volk gekommen war. Gottes Gericht hatte sie „von A bis Z“ erfasst.

3.) Schließlich fällt noch der parallele, chiasmische Aufbau des Buches auf. In Kapitel 1 (Verwüstung Jerusalems) und Kapitel 5 (Antwort des Überrestes) stehen die Menschen im Mittelpunkt, während in Kap. 2 (Gottes Gericht) und Kap. 4 (Gottes Zorn) viel von Gott die Rede ist. Kapitel 3 bildet den Höhepunkt.

Kapitel 5 durchbricht diese Strukturen in mehrfacher Hinsicht. Es zeigt, welche Reaktion Gott von dem Überrest auf seine Züchtigung erwartet: Buße und Umkehr (5,21), damit das Leid durchbrochen und ein Neuanfang gemacht werden kann.

Oft ist das Leid, das Menschen erleiden müssen, keine direkte Folge einer Sünde. Doch auch dann kann durch eine bewusste Hinwendung zu Gott das Leid durchbrochen werden und mit seiner Hilfe ein Neuanfang begonnen werden.


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